Stadt Bad Kreuznach 05.02.2015
In Bad Kreuznach kritisiert der Schaustellerverband das Volksfeststerben
Von Heidi Sturm

BAD KREUZNACH - Der Gästekreis beim Jahresempfang des örtlichen Schaustellerverbands wird immer größer. So musste die Veranstaltung in die Räumlichkeiten des Partyhauses Fuhr umziehen. „Das volle Haus ehrt uns, es zeigt, dass sie sich mit uns identifizieren“, freute sich Vorsitzender Ralf Leonhard.

Breite Unterstützung

WERBEAKTIONEN
Werbeaktionen für den Jahrmarkt:

Analog zur WM möchte man Jahrmarktsfähnchen auf den Autos: 10 000 Stück sollen gedruckt und mit einem Gewinnspiel kombiniert werden.

Nach einer Pause wird es eine Gokart-Stadtmeisterschaft auf dem Europaring geben.

Auch den beliebten Freifahrten-Rundgang gibt es wieder, die Gewinner werden mit einem Malwettbewerb ermittelt.

Auf dem Festplatz wird ein Modellbau-Miniatur-Jahrmarkt ausgestellt.

Die große Zahl von Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung, darunter auch etliche Marktmeister unterschiedlichster Veranstaltungen, nutzte er und bat um breite Unterstützung für Deutschlands Freizeitbranche Nummer eins. Angesichts des Volksfeststerbens durch einen Besucherrückgang vor allem bei kleinen und mittleren Veranstaltungen, stehe man vor einigen Herausforderungen für die Zukunft, die man aber nur gemeinsam bewältigen könne, so Leonhard. „Die Kirmes ist der Opernball des kleinen Mannes“, unterstrich Leonhard die Notwendigkeit der Veranstaltungen. Es gebe aber zunehmend Probleme, etwa mit neuen Vorschriften, die Schaustellern das Leben schwer machten: Etwa bei Zulassungskriterien für Märkte, die schon zu einer Prozessflut geführt hätten oder bei der neuen Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel: „Müssen hier Schilder aufgestellt werden, hinter denen man fast die Ware nicht mehr sieht oder gar die Bestandteile auf jede Tüte gedruckt werden oder genügt nicht auch ein Ordner“, appelliert er an die Kontrolleure.

Schwere Zeiten befürchtet er auch angesichts eines Urteils zum Bad Dürkheimer Wurstmarkt: Das größte Weinfest der Welt, das in zwei Jahren 600 Jahre alt wird, musste im Vorjahr bereits um Mitternacht schließen, weil Anwohner geklagt hatten. „Es kann nicht sein, dass man eine jahrhundertealte Traditionsveranstaltung kaputt macht, weil ein paar Zugezogene etwas dagegen haben“, wetterte Leonhard unter dem Beifall der Kollegen.

Auch Albert Ritter, Präsident des deutschen Schaustellerverbands, kritisierte die Regulierungswut, die kleinere oft nicht überleben lasse. Ein riesiges Problem sei die neue Sicherheitsnorm für Karusselle: „Nicht alles Böse kommt von Brüssel“, betonte Ritter, dass nur in Deutschland diese neue Norm derart angewandt werde.

Sicherheit im Fokus

60 000 Experten hatten angesichts der immer schnelleren Fahrgeschäfte diese strengeren Anforderungen für Anlagen ab 2005 festgelegt, in Deutschland fordere man diese Anwendung aber für alle. „Wir legen alleine schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse höchsten Wert auf Sicherheit“, unterstrich Ritter, wie intensiv bereits jetzt kontrolliert werde. Dass für ein Holzpferdekarussell von 1850 jetzt aber plötzlich Maßstäbe wie für High-Speed-Anlagen gelten, darüber kann er nur den Kopf schütteln: Es komme auch keiner auf die Idee, jetzt Neuschwanstein oder den Kölner Dom neu zu berechnen, machte er klar, dass ein Karussell nicht unsicher werde, weil plötzlich über Nacht eine neue Norm ausgetüftelt wurde.

Jahrmarktsbürgermeister Udo Bausch attestierte dem örtlichen Verband, dass er in der Bundesliga der Schaustellerverbände spiele. Man entwickle nicht nur Ideen, sondern setze sie als Sympathieoffensive auch um. Spannend ist für ihn etwa die Entwicklung des kommunalen Frühschoppens: „So macht Politik Spaß“, würdigte er die angenehme Atmosphäre. Aus den 1100 Anfragen für den Jahrmarkt will man für 2015 eine Mischung aus traditionellen und topaktuellen Angeboten zusammenstellen.

Für Unterhaltung sorgte der „Fischers Fritze“ Harry Borgner, der mit den Stimmen diverserer Schlagerstars Hits auf die Flossenträger sang.

Aus gegebenem Anlass!!!
In diesem Jahr und auch für die Zukunft werden aus privaten Gründen folgende Veranstaltungen vom Schinderhannes nicht mehr beschickt!
Simmern, Maimarkt
Wiesbaden, Theatrium
Bernkastel-Kues, Weinfest
Bad Kreuznach, Jahrmarkt
Der Tourenplan ist auf der Webseite bereits geändert.
Liebe Grüße an unsere Fangemeinde,
Gerhard Friedt

Stadt Bad Kreuznach
13.04.2015
Mindestlohn gefährdet Schausteller aus Bad Kreuznach: Was ist Arbeit, was ist Freizeit?
Von Rüdiger Lutterbach

BAD KREUZNACH - Ralf Leonhard macht sich Sorgen, große Sorgen. „Wenn alles so umgesetzt wird, wie es im Gesetz festgeschrieben ist, dann geht unsere Branche kaputt“, sagt der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Bad Kreuznach. Leonhard spricht vom Mindestlohngesetz, das mit Jahresbeginn in Kraft getreten ist und den Schausteller-Betrieben schwer zu schaffen macht, einige sogar in ihrer Existenz bedroht.

"Augen zu und durch" hieß es für OB Kaster-Meurer auf dem "Flipper" mit VG-Bürgermeister Peter Frey (li.) und Ralf Leonhard. Foto: Isabel Mittler

Bad Kreuznach ist eine Schausteller-Hochburg. Allein in der Stadt und dem Kreisgebiet gibt es laut Leonhard 20 Schaustellerbetriebe, fast alle seit mehreren Generationen von ein und derselben Familie geführt. Und sie alle haben zu kämpfen. Früher war ein Volksfest ein Selbstläufer, doch das Freizeitverhalten hat sich grundlegend geändert, die Konkurrenz im Freizeitsektor wird immer größer, ebenso die Kosten, insbesondere im Energie- und Transportbereich. Der TÜV stellt immer größere Anforderungen an die Sicherheitsbedingungen, die richtig ins Geld gehen. Und jetzt auch noch das Mindestlohngesetz.

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„Die 8,50 Euro sind dabei nicht einmal das Problem, die werden bei uns in den meisten Betrieben ohnehin schon gezahlt“, sagt Leonhard, „aber es ist für uns praktisch unmöglich, die Arbeitszeiten exakt zu erfassen und zu dokumentieren.“ Leonhard verweist darauf, dass eine genaue Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Wohnort und Arbeitsplatz auf Rummelplätzen nicht umzusetzen ist. Die Schaustellergehilfen, meist ohne abgeschlossene Berufsausbildung und aus Osteuropa kommend, seien in der Regel vollständig in den Betrieb und auch in die Familie integriert. „Sie arbeiten, ruhen, schlafen, wohnen, essen und verbringen auch ihre Freizeit im Betrieb. Wie soll man da einen Arbeitstag mit Stundenzetteln erfassen? Das funktioniert einfach nicht.“

Flexible Regelungen gefordert

Ein weiterer Aspekt ist die Arbeitszeitregelung, wonach ein Angestellter täglich nur acht, in Ausnahmefällen maximal zehn Stunden arbeiten darf. „Das mag in Branchen, wo der Angestellte bei Betreten des Betriebs eine Stechuhr drückt oder einen Stundenzettel ausfüllt, kein Problem sein, aber auf einem Rummelplatz lässt sich das nicht umsetzen. Und unsere Angestellten wollen das auch gar nicht. Sie sind Saisonarbeiter, die zu uns kommen, um in einem begrenzten Zeitraum möglichst viel zu arbeiten und zu verdienen“, erläutert Leonhard. Hält Arbeitsministerin Andrea Nahles an der Arbeitszeitregelung fest, wären viele Schausteller-Betriebe gezwungen, auf Schichtbetrieb umzustellen, was einen erhöhten Personalbedarf, noch mehr Kosten und noch mehr bürokratischen Aufwand zur Folge hätte.

Leonhard, der auch Mitglied im Deutschen Schaustellerbund (DSB) ist, fordert für seine Branche „flexible und praxisorientierte Regelungen“. Bleibt das Mindestlohngesetz in seiner jetzigen Form bestehen und kontrolliert der Zoll als zuständige Kontrollbehörde die Arbeitszeiterfassung tatsächlich so, wie es das Gesetz vorsieht, „dann sehe ich schwarz für uns“. Insbesondere für kleinere Betriebe würde sich der ganze Aufwand dann nicht mehr lohnen, was wiederum für viele kleinere Volksfeste wie die traditionelle Kirmes auf dem Land das Aus bedeuten würde. Und bei den größeren Jahrmärkten müssten die Besucher mit erhöhten Preisen bei den Fahrgeschäften rechnen. „Das alles will doch niemand“, sagt Leonhard. Er sieht nur eine Lösung, und darauf werde der DSB in dem laufenden Dialog mit der Arbeitsministerin auch mit aller Macht drängen: „Unsere Branche muss von der Pflicht, die Arbeitszeit genau zu erfassen und zu dokumentieren, befreit werden, anders geht es nicht.“