Schaustellerfamilie Wollenschlaeger,

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    • Schaustellerfamilie Wollenschlaeger,

      10.12.2011

      Bergundtalfahrt
      Auf Volksfesten ist der Schausteller Thilo-Harry Wollenschlaeger zu Hause
      Bunte Tupfer unterm Winterhimmel...Bildvergrößerung

      Bunte Tupfer unterm Winterhimmel...

      Mit 13 moderierte er zum ersten Mal die Losbude, er rief ins Mikrofon, die Stimme klang so hell. Das hatte ihn erschreckt. Die Leute guckten komisch, glaubte er. „Rekommandeur“ nennt man die Männer, die oben auf den Brettern stehen, Marktschreier ohne Punkt und Komma, sie rufen „Meeeinedaaamenundheeeerrn!“. Und rufen es so lange, bis wirklich alle Damen und Herren einen Blick geworfen haben auf die Etagen mit den meterhohen Schlümpfen, Schafen, Pokémons, seit Kurzem gibt es auch Produkte aus dem Hause „Playboy“. Thilo-Harry Wollenschlaeger schafft es jetzt kaum noch auf die Bretter seiner Bude. Ihm gehört der Laden mittlerweile, das Geschäft hat er vom Vater übernommen. Wollenschlaeger hängt meist am Handy, er betreibe „Schadensbegrenzung“, so nennt er das. Neulich ist ein Gabelstapler umgekippt, morgens um sechs, ein Kollege war unvorsichtig.

      Der Laden ist gewachsen mit den Jahren, 10 000 Quadratmeter Lager in Bötzow, Ortsteil von Oberkrämer, Landkreis Oberhavel. Gut zehn Angestellte hat seine Schaustellerfirma. Und wenn er doch mal auf die Bude steigt, „dann bin ich frech, das liegt mir in den Genen, doch Witz muss schon dabei sein“, sagt Wollenschlaeger – ein Mann von 45 Jahren, aufgeräumt, nie um ein Wort verlegen. Man sieht in ihm den Jungen, der damals auf der Losbude von seinem Vater erste Gehversuche in der Branche unternahm. Er trägt einen Kapuzenpulli, früher hat er Fußball gespielt, A-Jugend von Tennis Borussia Berlin. „Das ist 30 Kilo her“, sagt er.

      Der Weihnachtsmarkt in Spandau blinkt unter dunklem Winterhimmel, „1/2 Meter Bratwurst“ kostet 3,50 Euro, ein Junge fährt Karussell, im Feuerwehrauto, neben ihm das Pferd bleibt leer, auch die Motorräder und Polizeiautos. Für Kinder ist es jetzt zu spät, es riecht nach Glühwein. Ob Schnee dem Umsatz gut täte? „Um Himmels Willen“, ruft Wollenschlaeger, „Schnee gehört in die Berge, nicht auf den Weihnachtsmarkt. Zwei Stunden ist das hübsch, dann kommt der Mensch mit der Chemie. Es bleibt nur Matsch.“

      Thilo-Harry Wollenschlaeger ist Vorsitzender des „Fachverbandes reisender Schausteller im Land Brandenburg“, seit 13 Jahren, zum Verband zählen gut 20 Mitglieder – „Breakdance, Mandelbuden, Geisterbahn, alles dabei“, sagt er. Seit 2001 lebt er in Bötzow, hat dort ein Haus, sein Lager und die Firma, zu der neben seiner Losbude „Jolly Joker“ eine historische Schiffsschaukel für Kinder zählt, eine „Berliner Walzerfahrt“, diese Bergundtalbahn hat neun Gondeln für je fünf Personen. Einen Bratwurststand hat er, das Automatengeschäft „Penny Pusher“, zwei Gastronomiehütten und ein Bierzelt, 50 mal 25 Meter. Zudem vermietet er bis zu 70 kleine Buden auf Volksfesten.

      Gerade hat er seinen „Ikarus“ nach Chile verkauft, 35 Meter hoch hat sich das Karussell geschraubt. „Doch es kam in die Jahre, Reparaturen standen an“, sagt Wollenschlaeger. Jetzt hebt es sich in den Himmel von Santiago de Chile.

      Wollenschlaeger ist Schausteller in fünfter Generation, die Wurzeln liegen auf der mütterlichen Seite, ein Konditor in Pommern machte sich selbstständig und hat eine Reisebäckerei betrieben. Wollenschlaegers Vater hatte nur die eine Losbude, mehr nicht, „er konnte gut davon leben, das Geschäft lief. Es waren andere Zeiten“. Wann sich die Zeiten änderten? „Vor 20 Jahren“, sagt der Sohn, sein Vater starb vor zehn Jahren. „Das Freizeitverhalten hat sich grundlegend gewandelt. Es gibt jetzt Bungee-Jumping, Paragliding, Go-Kart-Fahren, riesige Kinohäuser. Alles muss Event sein. Was ist dagegen eine Losbude? Die Leute sind satt. Materiell haben sie alles, was sie brauchen. Wenn ein Aluminiumroller in Mode kommt, wird er dir drei Tage später bei Aldi als Sonderposten nachgeworfen. Die Leute wollen Sachen auf den Volksfesten gewinnen, die trendy sind. Aber was ist trendy? Fragen Sie mal Ihr Kind, das will wahrscheinlich so ein iPad haben.“ Was soll er in die Losbude stellen? iPads? Es gibt als Hauptpreise nun auch Kuschelschafe – Shaun das Schaf lief als Fernsehserie, es ist ein lustiges Tier, und niedlich genug, die Leute emotional zu binden, auch in den nächsten Jahren ist das Schaf als Preis noch attraktiv. Es bindet an die Bude und den Losverkauf. Ein Los kostet heute 25 Cent. „Die Hälfte der Einnahmen fließt in die Publikumsgewinne, das Gesetz schreibt es so vor“, sagt Wollenschlaeger.

      „Altpreußisch“ sei er erzogen, in Berlin-Charlottenburg, sein Vater habe jeden Morgen bei der Zeitansage angerufen, um die Uhr zu stellen, auf die Sekunde. „Was macht es, wenn die Uhr um fünf Sekunden falsch geht?“, fragte der Sohn. „Junge, wenn du fünf Sekunden am Galgen baumelst, ist das eine halbe Ewigkeit“, sagte der Vater. Auch der Sohn hasst mittlerweile alles Unpünktliche. Sein Arbeitsethos wurzelt in der Zuverlässigkeit, sieben Tage die Woche ist Wollenschlaeger beschäftigt, im Grunde pausenlos. 12 000 Volksfeste gibt es in Deutschland, 30 von ihnen bereist Wollenschlaeger jährlich mit seinen Buden und den Karussells. Vor allem im Raum Berlin und Brandenburg, oft auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Im Märkischen gefällt ihm vor allem der Martinimarkt in Neuruppin, meist fällt der in den November. „Wir als Verband haben uns um die Leitung beworben, damit das Fest nicht zu profitorientiert wird.“ Falls es in private Hand falle, würden die Schausteller „gemolken und geschlachtet“, unkt Wollenschlaeger. Und grinst bitter. „Mein Vater hat gesagt: Man soll AUF einem Volksfest Geld verdienen, nicht AN einem Volksfest.“

      Schon jetzt seien die finanziellen Belastungen an der Grenze.

      3,50 Euro zahle er Miete für den Stellplatz, pro Quadratmeter, täglich, ohne Nebenkosten für die Energie. Das sei für viele kaum zu tragen, auch wenn sich der Preis bei Festen, die länger als zehn Tage dauern, halbiere. Er hat in diesem Jahr das „Berlin-Brandenburger Oktoberfest“ organisiert, auch das in Spandau, alleine für das Lärmgutachten hätten die 30 Schausteller 12 000 Euro zahlen müssen. „Wenn jemand bereit ist, sich sieben Tage in der Woche vor seine Ballwurfbude zu stellen, doch am Ende weniger hat als ein Hartz-IV-Empfänger, dann ist der Staat gefordert“, sagt Wollenschlaeger. Die Behörden sollten Preise für Standmieten und Lärmgutachten senken. „Wenn einige Leute in unserem Verband den Beitrag nicht mehr zahlen, passiert das nicht aus bösem Willen, sie können es einfach nicht mehr.“ Meist arbeiten sie in Familienbetrieben, Herzblut hänge am Geschäft, doch wenn die Umsätze partout nicht stimmten, gebe es Kollegen, sagt Wollenschlaeger, die suchten ärztlichen Rat. Die Lage zehre vielen an den Nerven.

      „Früher gab es in der Branche keine Insolvenz“, sagt Wollenschlaeger, da habe der Verband geholfen, wenn es nötig war. „Seit fünf Jahren ist das Geschäft härter. Das liegt an den Ausgaben der Schausteller. Und eben daran, dass die Gäste nur noch besondere, hochwertige Preise wollen.“ Prinzipiell seien die Besucherzahlen stabil, auch Geld werde weiterhin ausgegeben. Doch für eine nachgemachte Barbie-Puppe werfe keiner mehr mit Bällen auf einen Stapel Dosen.

      Thilo-Harry Wollenschlaeger hat keinen Beruf erlernt, auch wurde ihm die Übernahme der Losbude nicht aufgedrängt vom Vater. „Ich bin mit Leib und Seele Schausteller“, sagt er, es sei herrlich, wenn er einen Opa mit Enkel über den Markt gehen sehe, und beide ihre Augen aufrissen, bei all den Blinkelampen. Wollenschlaeger hat sich hochgearbeitet, ist ein Pragmatiker, hat den Schweißerpass, ist handwerklich versiert – neulich hat er auf der Rückfahrt von einem Fest aus Parchim beim Schwertransporter einen Reifen auf der Autobahn gewechselt. Zwei Stunden hat er den Verkehr beinahe lahmgelegt. „Ich bin selbstbewusst genug, zu sagen, dass ich es auch in einer anderen Branche schaffen würde. Als Bauunternehmer zum Beispiel.“ Er fährt einen dicken Mercedes, sagt er, und lacht: „Ist aber nur geleast.“

      Er gibt etwas zurück. Stark sehbehinderte Kinder hatte er eingeladen, die fuhren Autoscooter, mit ihren Betreuern, und riefen, wenn sie lachend aneinanderrasselten: „Bist du blind?“ Dann hatte er zehn Vollwaisen zu Besuch, „mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn sich jeder einen Hauptgewinn aussuchen darf. Ein Junge hat mich fest an die Hand genommen und wollte gar nicht mehr loslassen“.

      Die nächste Generation, wird sie seine Arbeit weiterführen? Drei Kinder hat er, seine elfjährige Tochter sei „ausgeschlafen“, sagt er. Wenn er mit der Familie ins Restaurant geht, habe sie ihn schon mal ermahnt: Papa, hier essen wir aber nicht! Warum, habe er gefragt. – Guck dir mal die schmutzigen Hände vom Kellner an, habe die Tochter geantwortet. „Die hat den Blick für alles“, sagt Thilo-Harry Wollenschlaeger. „Eigentlich ist sie die ideale Schaustellerin.“ (Von Lars Grote)

      Einnahmen stagnieren, doch Ausgaben steigen
      Etwa 12 000 Volksfeste gibt es jährlich in Deutschland, davon 2000 Weihnachtsmärkte. Rund 5000 Schaustellerbetriebe mit knapp 45 000 Beschäftigten arbeiten in der Branche.

      170 Millionen Besucher kommen jährlich auf die Volksfeste und geben dort etwa zwei Milliarden Euro aus. Die Umsätze sind in den letzten Jahren stabil – sie stagnieren, wachsen aber trotz erhöhter Ausgaben der Schausteller nicht. Die Standmieten und Kosten für Energie und Lärmgutachten ziehen zum Beispiel an.

      Die Generation „50 plus“ ziehe es immer stärker auf die Volksfeste, stellt Christoph Jansen, Sprecher des Deutschen Schaustellerverbandes, fest. Mit „romantischer Atmosphäre“ wolle man die Veranstaltungen für Gäste aller Altersstufen noch attraktiver machen. „Wir wollen keine Ballermannfeste“, sagt Jansen. lg



      Quelle: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12236382/1174144/Auf-Volksfesten-ist-der-Schausteller-Thilo-Harry-Wollenschlaeger.html